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StartseiteHome Orchester Interview Stanko Madić

interview mit dem ersten konzertmeister stanko madiĆ

Aus dem Programmheft zum 3. Sonntagskonzert 2019/2020 am 26. Januar 2020

1. Mittwochs um halb acht 2019-2020 mit Stanko Madic (li.)_Credit Michaela Jung
Stanko Madić bei einem Konzert der Reihe Mittwochs um halb acht unter der Leitung von Chefdirigent Ivan Repušić

Stanko Madić, wie haben Sie die Geige für sich entdeckt?

Ich kann es nicht richtig erklären − aber seit ich ein kleines Kind war, wollte ich nur Geige spielen. Dabei komme ich nicht einmal aus einer Musikerfamilie. Alle Mitglieder meiner Familie sind Wissenschaftler, vor allem Naturwissenschaftler. Mein Vater war sozusagen schon ein schwarzes Schaf, weil er Ökonomie studiert hat. Mein Großvater war Quantenphysiker und Professor an der Universität in Belgrad, hat aber die klassische Musik so geliebt, dass er auch einen Abschluss an der Musikakademie in Dirigieren und Komposition gemacht hat. Meine Schwester und ich haben immer die Kinderkonzerte des Rundfunkorchesters sonntags um zwölf Uhr im Kolarac, dem großen Konzertsaal in Belgrad, besucht. Als ich drei war, bekam meine Schwester, die zwei Jahre älter ist als ich, von unseren Großeltern ein Klavier geschenkt. Der bedeutende serbische Geiger Jovan Kolundžija spielte damals zusammen mit seiner Schwester, der Pianistin Nada Kolundžija, in einem dieser Sonntagskonzerte als Duo. Ich fand das absolut toll: Genau so wollte ich eines Tages mit meiner Schwester musizieren, und die Geige hat mich sehr berührt. Nach einer Zeit des Wartens kam ich dann endlich mit sechs Jahren an die staatliche Musikschule.

Und die Geigenkarriere nahm sofort ihren Lauf?

Meine Eltern wollten mir anfangs keine Geige kaufen, weil sie dachten, es geht nur um ein Hobby. Sie haben mich ans Klavier herangeführt, weil wir schon eines zu Hause hatten. Aber ich war sehr stur, wollte keinen einzigen Ton spielen – und es gab laute Proteste. Sie haben dann nachgegeben, und ich habe eine Geige bekommen, als ich sieben war. Es war auch gleich klar, dass ich dafür geeignet bin. Ich habe gewusst, wie man die Geige und den Bogen hält; die Finger haben sofort ihren Platz auf dem Griffbrett gefunden. Nach einem Monat habe ich schon Vivaldis a-Moll-Konzert mit Orchesterbegleitung gespielt. Mein erster Lehrer war Robert Toškov, Sohn des bedeutenden Geigenvirtuosen Petar Toškov.

Mit vierzehn Jahren wurden Sie an der Musikakademie aufgenommen.

Ja, ich musste sofort nach der Grundschule das Studium an der Akademie beginnen, weil mein Professor, der inzwischen verstorbene Dejan Mihailović, in absehbarer Zeit in Rente gehen sollte. Aus seiner Klasse ist eine große Anzahl führender Solisten hervorgegangen, zum Beispiel Nemanja Radulović, mit dem ich bis heute befreundet bin. Ich musste also das Gymnasium überspringen, in drei Monaten den kompletten Stoff in Physik, Mathematik, Serbisch und so weiter auf Gymnasialniveau lernen und eine Prüfung ablegen. Dazu kam die Aufnahmeprüfung an der Akademie, bei der ich die höchste Punktzahl erzielte. Das war 1999, als Jugoslawien von der NATO bombardiert wurde. Ich bin mit Büchern über Kontrapunkt, Harmonielehre und anderes mehr in den Schutzkeller gegangen. Bei meiner Aufnahmeprüfung an der Akademie habe ich das Violinkonzert von Beethoven vorgetragen, und beim zweiten Satz ertönten die Sirenen. Man fragte, ob ich abbrechen wolle, aber ich habe weitergespielt. Ich habe früh im Leben gelernt, dass es Situationen gibt, auf die man keinen Einfluss hat.

Hat Ihnen die Musik durch die schweren Zeiten geholfen?

Sie hat mich gerettet, nicht nur 1999, sondern auch vorher während des Bürgerkriegs zwischen Kroaten, Serben, Slowenen und Bosniern. Ganz Jugoslawien hat gebrannt. Es ist nur dem unglaublichen Einsatz unserer Eltern zu verdanken, dass wir Kinder nichts davon gespürt haben. Sie haben uns ermöglicht, dass wir an Musikwettbewerben zum Beispiel in Italien, Tschechien und der Slowakei teilnehmen konnten. Denn Wettbewerbe sind sehr wichtig für junge Musiker mit professionellen Ambitionen. Für meine Karriere am bedeutendsten waren später die Erfolge bei den Jeunesses musicales mit einem dritten Preis und fünf Sonderpreisen. Das war ein Sprungbrett für mich.

Mit 19 Jahren hatten Sie bereits das Magisterstudium abgeschlossen.

Genau. Mit 17 musste ich in Belgrad das dritte und vierte Studienjahr zusammenfassen, weil mein Professor inzwischen in Rente war. Aber er hatte noch eine Professur an der Kunstakademie in Novi Sad, wo ich die Magisterprüfung ablegte. Anschließend war ich dort vier Jahre lang Assistent von Megumi Teshima, einer japanischen Geigenprofessorin.

Warum haben Sie sich dann für die Meisterklasse bei Igor Malinovsky in Dresden entschieden?

Ich hätte die Möglichkeit gehabt, 2001 nach Wien zu gehen. Aber diese Chance habe ich verpasst. Damals gab es in Serbien eine demokratische Revolution, und ich dachte, jetzt wird alles besser. Die nächste Möglichkeit, mein Leben zu ändern, ergab sich 2008, als ich eine Stelle bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden in den Zweiten Violinen bekam. Ich war sehr froh darüber, in einem der besten Orchester der Welt zu sein – vor allem, weil ich Oper sehr liebe. Zufällig traf ich auf der Straße Igor Malinovsky, den ich aus seiner Zeit als Erster Konzertmeister am Palau de les Arts Reina Sofía in Valencia kannte und der nun Professor in Dresden war. So habe ich dann gleichzeitig zur Tätigkeit an der Oper bei ihm studiert. Er hat mich ein bisschen gepusht und mir gesagt, ich hätte das Potenzial als Erster Konzertmeister. Ich habe mich überall in Deutschland auf entsprechende Stellen beworben. Das erste Probespiel, das auf meinem Plan stand, war am Staatstheater Nürnberg, und es hat geklappt.

Noch zuvor hatten Sie diverse Meisterkurse besucht, unter anderem bei Midori. Wie kam es dazu?

Ich habe beim Moritzburg Festival kammermusikalisch, solistisch und auch als Stellvertretender Konzertmeister gespielt. Eines Abends fragte mich Jan Vogler, der Cellist und Intendant des Festivals, welchen Geiger ich besonders schätze. Ich las gerade die Biografie von Midori und fand es erstaunlich, was sie durchlebt hat, wie sie trotzdem mental und physisch ihre Stabilität fand und wie fantastisch sie spielt. Daraufhin hat mich Jan Vogler auf seine Kosten nach Köln zu Konzerten von ihr geschickt, und am Tag darauf begann ich mit ihr zu arbeiten, ebenso dann beim Schleswig-Holstein Musik Festival.

Seit 2012 sind Sie Erster Konzertmeister im No Borders Orchestra.

Ja, das ist ein Orchester mit den besten Musikern aus Ex-Jugoslawien nach dem Modell des West-Eastern Divan Orchestra. Dessen Chef Daniel Barenboim war einer unserer Mentoren bei der Gründung, und wir hatten außerdem Unterstützung aus den Reihen der Berliner Philharmoniker und der Staatskapelle Berlin. Nach einem Jahr haben wir bereits unsere erste CD aufgenommen. Doch die Finanzierung ist schwierig, denn wir sind auf Fundraising angewiesen. Unser politisches Ziel wäre natürlich eine endgültige Lösung zwischen Kosovo und Serbien – ein brennendes Thema, das viele Menschen betrifft. Denn wir sind noch weit entfernt von Normalität und Ordnung. Wir wollen durch unser musikalisches Projekt und mit dem Anspruch auf höchste Qualität zeigen, dass wir nur dann etwas schaffen können, wenn wir zusammenhalten und zusammenarbeiten. Jedes kleine Land für sich ist nicht genug.

Seit September 2018 sind Sie Erster Konzertmeister im Münchner Rundfunkorchester. Welches Projekt hat Ihnen bislang am besten gefallen?

Für mich persönlich waren die Konzerte „Fuoco di gioia!“ mit dem BR-Chor und unserem Chefdirigenten Ivan Repušić etwas ganz Besonderes − vor allem das Gastspiel in Zagreb. Am Ende hielt Ivan Repušić eine sehr emotionale Rede vor dem Publikum. Ich habe natürlich alles wortwörtlich verstanden, denn Serbisch und Kroatisch sind sehr ähnlich, vielleicht wie Sächsisch und Bayerisch. Er hat beschrieben, wie schwer es ist, sich von Kroatien aus eine Position wie die seine zu erarbeiten, wie viel Stärke und Opfer es bedeutet. Und dass es ein Höhepunkt in seiner Karriere war, mit seinem Orchester und dem BR-Chor in Zagreb aufzutreten. Als zweite Zugabe haben wir den Friedenshymnus von Jakov Gotovac gespielt, bei dem nicht nur der Chor, sondern auch das Publikum mitgesungen hat. Wir haben alle geweint.

Wie empfinden Sie allgemein die Arbeit im Rundfunkorchester?

Ich bin unglaublich stolz auf unser Orchester und auf das, was wir schaffen. Beispielsweise hatten wir im Dezember in der Reihe Klassik zum Staunen ein sehr anspruchsvolles Programm unter anderem mit Ausschnitten aus Rimskij-Korsakows Scheherazade und der Zarenbraut zu bewältigen. Wir haben es einmal durchgespielt und dann schon für CD aufgenommen – und zwar richtig toll. Bei vielen anderen Orchestern wäre daran gar nicht zu denken. Hier habe ich gelernt, wie professionell man sein kann, wie unglaublich still ein Orchester im Studio sein kann, so dass sich nichts bewegt und keiner hustet. Es begeistert mich, wie gut die Kolleginnen und Kollegen vorbereitet sind und musikalischen Herausforderungen begegnen. Da gibt es auch mal Tipps und Tricks von erfahrenen Kollegen, die schon tausende Aufnahmen hinter sich haben. So etwas ist Gold wert, und das könnte ich nirgendwo anders lernen.

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