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StartseiteHome Orchester Interview Ingo Nawra

interview mit dem solobassisten ingo nawra

Aus dem Programmheft zum 1. Konzert Paradisi gloria 2017/2018 am 1. Dezember 2017

Nawra und Kinder Großvater erzählt (Foto Martina Oberhauser)
Ingo Nawra erklärt den jungen Mitwirkenden bei einer „Zwergerlmusik“ des Münchner Rundfunkorchesters den Kontrabass.

Ingo Nawra, wie kamen Sie zu Ihrem Instrument? War es Liebe auf den ersten Blick?

Na ja, eigentlich wollte ich Toningenieur werden. Ich wusste damals aber noch nicht, dass man ohne entsprechendes Klavierspiel kaum Chancen hat, in diesen Studiengang hineinzukommen. Doch auch der Bass hatte mich schon immer gereizt. Ich habe mit dem E-Bass in Rockbands gespielt, und irgendwann hielt mir mein Musiklehrer am Gymnasium einen Kontrabass hin – so fing es an. Ich hatte das Glück, in einer Kleinstadt aufzuwachsen, in der es auch eine Musikhochschule gab, nämlich in Trossingen. Als ersten Lehrer hatte ich daher mit Fritz Maßmann gleich einen Hochschulprofessor. So erhielt ich von Beginn an – im Alter von 18, 19 Jahren – einen sehr guten Unterricht. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich nach meinem Ersatzdienst sofort mit dem Kontrabassstudium begann. An die Ausbildung als Toningenieur habe ich dann gar nicht mehr gedacht.

Auch die Ausbildung an der Hochschule haben Sie maßgeblich bei Fritz Maßmann absolviert. Welche weiteren Lehrmeister gab es?

Fritz Maßmann hatte guten Kontakt zu Heinz Herrmann, dem Solobassisten der Dresdner Staatskapelle. Dieser ist noch vor der Wende bei einer Tournee im Westen geblieben. Bei ihm hatte ich immer in den Semesterferien Unterricht, denn ein Vierteljahr ohne Betreuung wäre schlecht gewesen. Er beherrschte ein riesiges Repertoire, das ich in allen Facetten kennenlernen durfte; er hat mich durch die gesamte Literatur „getrieben“. Maßmanns Nachfolger in Trossingen wiederum war der Rumäne Ovidiu Bӑdilӑ − ein fantastischer Solist und Virtuose, leider sehr früh verstorben. Er hat dem Ganzen das i-Tüpfelchen aufgesetzt: ein kleines Funkeln. Ohne diese drei wäre ich nicht da, wo ich bin.

Anschließend waren Sie Akademist im Rundfunkorchester des Südwestfunks in Kaiserslautern, dann Mitglied der Niederrheinischen Sinfoniker sowie des Philharmonischen Orchesters Dortmund, das neben dem Operndienst ebenfalls Symphoniekonzerte spielt. Wie kamen Sie zu Ihrer jetzigen Stelle?

Das Münchner Rundfunkorchester war für mich insofern reizvoll, als es damals sozusagen „das“ Opernorchester innerhalb der ARD war. Die Tätigkeit an einem Opernhaus kannte ich ja bereits. Natürlich treten an diesen mittleren Häusern gute Solisten auf. Aber die absoluten Topsänger arbeiteten mit dem Münchner Rundfunkorchester zusammen. Hier waren sie alle! Schon damals spielte das Orchester außerdem viel im Bereich Crossover. Mein allererstes Konzert mit dem Rundfunkorchester war 1994 ein Auftritt beim Jazzfestival in Montreux unter der Leitung von Lalo Schifrin, mit so illustren Musikern wie Ray Brown am Bass, Slide Hampton an der Posaune, Jon Faddis und James Morrison an der Trompete: die Crème de la Crème der Szene. Das hat mich für diesen Repertoirebereich gleich auf den Geschmack gebracht. Ab 1. März 1995 war ich dann fest im Rundfunkorchester angestellt.

Als Solobassist führen Sie Ihre Stimmgruppe an und übernehmen die Soli. Wie exponiert ist man in dieser Position?

Das ist extrem unterschiedlich. Die meiste Zeit über spielt man dieselben Noten wie die anderen und hat die Verantwortung dafür, dass alles zusammenfindet. Das Vorzeigesolo für jeden Solobassisten aus dem symphonischen Bereich wäre dasjenige aus der Ersten Symphonie von Gustav Mahler. Doch dieses Repertoire kommt beim Rundfunkorchester nicht vor; stattdessen begegnet uns immer wieder Überraschendes. Roberto Abbado, der erste Chefdirigent, unter dem ich hier gespielt habe, hat zum Beispiel in den Promenadenkonzerten bunt gewürzte Programme geboten – darunter interessante Tondichtungen wie Horace victorieux von Arthur Honegger oder Le chant du rossignol von Igor Strawinsky, die beide ein kleines Basssolo enthalten. Stücke, die man im Studium nicht kennenlernt und die wohl die meisten Orchestermusiker dieser Welt nie kennenlernen werden! In Le chant du rossignol ist es ganz verzwickt: Zuerst hat die Trompete ein elegisches Solo, dann kommt der Kontrabass mit einer verrückten Stelle – rauf und runter, so dass es absichtlich möglichst krumm und schräg klingt. Strawinsky hat sogar Fingersätze dazugeschrieben.

Sie haben in der Reihe Klassik zum Staunen ein Werk von einem Orchesterkollegen, dem Hornisten und Komponisten Franz Kanefzky, aufgeführt. Was hat es damit auf sich?

Es ist ein Divertimento für Kontrabass und Orchester ohne Streicher, entstanden auf Anregung von Fritz Maßmann. Damit der Solist besser durchdringt, wird er nur von Bläsern und Schlagwerk begleitet. Ein technisch anspruchsvolles und musikalisch sehr schönes Werk! Das gesamte Programm bei der Uraufführung hieß „Wir schauen einem Komponisten über die Schulter“. Ein Schauspieler stellte dabei den Komponisten dar, der sich über einen Kompositionsauftrag freut, dann jedoch entsetzt feststellt, dass es ein Werk für Kontrabass werden soll, mit dem er überhaupt nichts anfangen kann. Warum denn nicht Geige oder Flöte?! Auf CD erschien das Stück unter dem Titel Erzähl mir Märchen, Kontrabass.

Sie bilden gemeinsam mit zwei Kollegen den Vorstand des Münchner Rundfunkorchesters. Was veranlasste Sie, sich in diesem Gremium zu engagieren?

Auch hier muss ich wieder auf meinen ersten Lehrer zurückkommen: Fritz Maßmann war Gründungsmitglied der Deutschen Orchestervereinigung (DOV). Schon während des Studiums habe ich mich mit ihm viel darüber unterhalten. Deswegen weiß ich, wie bedeutend die Organisation der Musiker untereinander ist, und sehe das als eine wichtige ehrenamtliche Aufgabe an. Es muss Personen geben, die das Orchester offiziell vertreten – dem Haus, den Veranstaltern, den Dirigenten gegenüber. Ich war schon ab Ende der 1990er Jahre für längere Zeit im Vorstand − und jetzt wieder seit 2014. Auch als künstlerischer Beirat war ich tätig. Außerdem bin ich der DOV-Delegierte des Orchesters, halte Kontakt zur Gewerkschaft und bin bei Tarifverhandlungen mit dem BR dabei – zusammen mit je einem Vertreter von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Mit eingebunden ist dann auch ein hauptamtlicher Beauftragter aus der DOV-Geschäftsstelle in Berlin.

Was sind die spezifischen Anforderungen an einen Orchestermusiker?

Die wenigsten können sich wohl vorstellen, wie es wäre, wenn ihnen bei der Arbeit am Schreibtisch immer sechzig gleich qualifizierte Kolleginnen und Kollegen über die Schulter schauen und jedes Wort, das in den Computer getippt wird, prüfen würden. Innerhalb des Orchesters findet eine starke Kontrolle statt, weil die anderen natürlich jeden Ton verfolgen, den man spielt. Ein weiterer Unterschied zu anderen Berufen ist, dass man – wenn eine Sache gut gelaufen ist – beim nächsten Mal nicht darauf aufbauen kann, denn da muss man die Musik wieder neu zum Klingen bringen. Das, was ich gestern gut und schön gespielt habe, hilft mir heute nichts; die Musik entsteht im Augenblick! Speziell im Münchner Rundfunkorchester werden wir zudem ständig mit neuen Aufgaben konfrontiert, und meistens stehen Stücke auf dem Programm, die wir vorher noch nie gespielt haben. Stilistisch kann man aus der Erfahrung schöpfen, aber man muss sich jedes Werk neu erarbeiten − und das in relativ kurzer Zeit. Doch das ist ja unsere Spezialität: Wir sind sehr schnell im Umschalten.

Einen Kontrabassisten stellt man sich gern als allzeit in sich ruhenden Kollegen vor. Ist an dieser Typologie etwas dran?

Auf jeden Fall! Meiner Erfahrung nach sind die Kontrabassisten im Orchester normalerweise sehr bodenständig. Sie wissen, was sie in dieser zu einem Gutteil „dienenden“ Funktion zu tun haben, und empfinden dies auch als ihre Berufung. Dazu gehört ein gewisses Understatement: Man muss sich nicht in den Vordergrund spielen, sondern nimmt die eigene Aufgabe im Kontext wahr − nämlich für die unterste, aber nicht die unwichtigste Stimme in der Partitur zuständig zu sein!

In dem Theaterstück „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind geht es um die Befindlichkeiten und Frustrationen eines Kontrabassisten. Wie gut ist das beobachtet?

Das Stück ist in jeder Hinsicht ein Wurf! Extrem überzeichnet − aber das erfordert die Dramaturgie. Wer ganz nach oben möchte, kann als Kontrabassist im Orchester schon mal verzweifeln. Oder wie es bei Süskind heißt: Nicht einmal der Kollege am Pult nebendran hat gemerkt, „wie eklatant schön ich gespielt habe“. In der Realität sind die Bassisten aber weitaus vielschichtiger, als sie in diesem Einakter dargestellt werden.

Sie lieben Literatur – was zum Beispiel?

Gerade lese ich eine Biografie über die Klavierbauerfamilie Bechstein. Zur Unterhaltung darf es aber auch mal ein Krimi von Wolf Haas sein. Und manchmal versuche ich mich an Philosophischem wie Die schrecklichen Kinder der Neuzeit von Peter Sloterdijk. Er leitet bestimmte Phänomene unserer Zeit aus den Umwälzungen durch die Französische Revolution her, aufgrund derer die Verhältnisse von „unten“ und „oben“ nicht mehr so eindeutig sind wie zuvor. Sehr interessant, aber auch harte Kost!

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