Südkorea bringt eine große Anzahl von hervorragenden Musikern hervor. Wie erklären Sie sich das?
Seit meiner Jugend hat sich vermutlich viel geändert. Aber ich denke, wir Koreaner haben den Willen, etwas zu schaffen, und verwenden dann auch viel Zeit und Energie darauf. Wir sind bereit, Freizeit und Vergnügen zu opfern, um ein Ziel zu erreichen.
Wie ging es mit Ihrer Musikausbildung weiter?
Cellounterricht hatte ich nicht bei meiner Mutter, sondern bei einem anderen Lehrer. Aber sie hat sofort gemerkt, dass ich Talent habe. Daher kam ich auf ein Gymnasium für die Schönen Künste. Doch es war frustrierend, weil wir jeden Tag für dreizehn akademische Fächer lernen mussten und nicht genug Zeit zum Üben hatten. Man konnte sich nicht wirklich auf die Musik konzentrieren. Ab dem Alter von fünfzehn Jahren besuchte ich dann in den USA eine künstlerisch ausgerichtete Highschool, wo Schüler mit ganz unterschiedlichem Hintergrund beisammen waren. Wir haben gemeinsam auf einem großen Campus gelebt und gelernt: Das war wie eine eigene Welt – und die wichtigste Zeit in meinem Leben. Wir waren jeden Tag mit Kunst konfrontiert: Musik, Ballett, Theater, bildende Kunst, kreatives Schreiben … Und wir wurden als Individuum geachtet, obwohl wir noch jung waren. Das hat mir die Augen geöffnet, denn ich wurde sehr konservativ erzogen und komme aus einer Gesellschaft, in der Individualität nicht gefragt war. In den USA habe ich angefangen, meine eigene Identität zu entwickeln.
Sie studierten dann am New England Conservatory in Boston …
Ja, ich habe dort viel über mich selbst herausgefunden und zum Beispiel meine Leidenschaft für Kammermusik entdeckt. In Korea ging es nur darum, Solist zu werden, aber in den USA war es sehr wichtig, Kammermusik zu machen und sich auf diese Weise gegenseitig mitzuteilen. Es gab damals zwei Professoren, die sehr bedeutsam für mich waren; sie sind heute beide schon um die achtzig. Der eine war Paul Katz, Cellist und Gründungsmitglied des Cleveland Quartet. Bei ihm habe ich das Quartettspiel lieben gelernt; und es ist immer noch mein Traum, das wieder zu praktizieren. Der andere war Laurence Lesser, ebenfalls Cellist und einer der letzten aus der Generation, die man in den USA noch mit der „goldenen Ära“ der europäisch geprägten Künstler verbindet. Lesser war Assistent von Gregor Piatigorsky und hat viel mit Jascha Heifetz zusammengearbeitet, worüber ich viele Geschichten gehört habe. Neben dem Cellounterricht haben wir auch alte Aufnahmen analysiert, und so habe ich zu meiner eigenen Spielweise gefunden.
Sie waren in Boston fast sechs Jahre Mitglied im Conspiro String Quartet, das mehrfach ausgezeichnet wurde. Was genau fasziniert Sie am Quartettspiel?
Die Intimität zwischen den vier Menschen in einem Quartett ist wie in einer Beziehung. Man lernt, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln und Gefühle auszudrücken. Wenn man dann im Konzert dank der kleinen Besetzung spontan reagieren kann – das ist magisch! Mein Lieblingswerk war Beethovens Streichquartett op. 131. Es fängt mit einer Fuge an, sehr melancholisch, und daraus entwickelt sich alles Weitere: wie eine 40-minütige große Reise. Wenn man am Ende angelangt ist, hat man das Gefühl, man müsste sofort wieder von vorne beginnen, weil es so tiefgründig und bedeutungsvoll ist.
Sie haben in den USA mit etablierten Künstlern musiziert und sind in bedeutenden Sälen aufgetreten, unter anderem einmal in der Carnegie Hall als Cellistin im Orpheus Chamber Orchestra. Warum wagten Sie dann den Sprung „über den großen Teich“?
Noch von den USA aus nahm ich an einem Wettbewerb in Genf teil, meinem ersten internationalen Wettbewerb. Und ich war total schockiert über den Unterschied zwischen den Cellisten mit amerikanischer und denen mit europäischer Ausbildung. Ich war gleichzeitig beeindruckt und deprimiert, wollte unbedingt auch in Europa studieren, hatte aber keine Verbindungen. Daher las ich die Biografien der Preisträger, um zu sehen, bei wem sie studiert hatten. Schließlich entschied ich mich für die Solistenklasse in Lübeck bei dem dänischen Cellisten Troels Svane, denn da hat die „Chemie“ einfach gestimmt.
Was unterschied das Studium in Boston von dem in Lübeck?
Ich verallgemeinere jetzt natürlich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen. Aber in den USA wird großer Wert darauf gelegt, seine Gefühle auszudrücken, manchmal ist das wichtiger als die Komposition selbst. In Deutschland werden die Tradition und der Hintergrund des Komponisten sehr respektiert − als Basis für alles Weitere. Glücklicherweise habe ich beides kennengelernt.
Sie besuchten Meisterkurse bei den besten Cellisten der Welt. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Yo-Yo Ma war aufgrund seiner menschlichen Art sehr eindrucksvoll: so freundlich und positiv. Er wollte uns Studierenden wirklich dabei helfen, dass wir mit Liebe musizieren und mit dem Publikum kommunizieren. Auch Natalia Gutman hat mich beeindruckt: eine Frau mit einer großen Persönlichkeit! Wenn sie neben einem saß und etwas vorspielte, spürte man es allein schon an ihrem vollen Klang.
Von 2010 bis 2013 waren Sie Stellvertretende Solocellistin bei den Lübecker Philharmonikern. Was haben Sie dort für Ihre Laufbahn als Orchestermusikerin gelernt?
Ich hatte zuvor noch nie Oper gespielt – und auch nicht in einem großen symphonischen Orchester. Mein erstes Bühnenwerk war Wagners Götterdämmerung, und gleich darauf musste ich alle vier Teile des Rings mit jeweils nur einer Probe bewältigen. Ich stand jeden Tag um vier Uhr morgens auf, um mich vorzubereiten. Das war damals sehr schwer, aber heute ist es meine größte Stärke, dass ich neue Stücke sehr schnell einstudieren kann. Außerdem musste ich erst das richtige Timing im Zusammenspiel mit Dirigent und Bühne lernen. Das ist jetzt im Münchner Rundfunkorchester von Vorteil, denn wir arbeiten viel mit Sängerinnen und Sängern zusammen.
Wie kam es zu Ihrer Anstellung beim Münchner Rundfunkorchester 2015?
Das erste Mal spielte ich hier als Aushilfe bei einem Auftritt mit dem Schlagzeuger Martin Grubinger in der Philharmonie im Gasteig: fünf verschiedene Solokonzerte hintereinander! Ich hatte Spaß daran und lernte bereits einige Orchestermitglieder kennen. Als eine Stelle frei wurde, habe ich mich beworben.
Was zeichnet das Münchner Rundfunkorchester aus?
Die Besetzung hier ist etwas kleiner als in einem typischen Symphonieorchester. Man kann also fast kammermusikalisch agieren, es ist ein intimes Musizieren. Bei einer großen Besetzung muss man seine eigene Persönlichkeit immer ein bisschen zurückstellen, aber bei uns im Orchester und in meiner Stimmgruppe wird man dazu ermutigt, seine eigene Energie und Leidenschaft einzubringen. Das schätze ich sehr.
Woran erinnern Sie sich besonders gern?
Zum einen an den Auftritt der Sopranistin Krassimira Stoyanova 2015 zum 40-jährigen Salzburger Bühnenjubiläum von Plácido Domingo. Sie sang die Arie „Pace, pace, mio Dio“ aus Verdis La forza del destino und hat mit ihrer Intelligenz und Sensibilität meine Seele berührt. Zum anderen hat mir das erste Konzert der Reihe Mittwochs um halb acht in dieser Saison mit der Mezzosopranistin Anna Bonitatibus besonders gefallen. Man hat sehr gut verstanden, welche Botschaft sie dem Publikum und auch dem Orchester vermitteln will. Denn die Musik ist eine universelle Sprache. Wenn man jeden Tag mit Musik umgeht, so wie ich, vergisst man manchmal, was Kunst bedeutet. Aber wenn wir mit solch hochrangigen Solisten arbeiten, macht mir das wieder bewusst, warum wir Musik machen.
Aus dem Programmheft zum 3. Sonntagskonzert 2018/2019 am 20. Januar 2019