Entstehung der Werke:
1996–1998 (Judita); 1985 (Tanz der Baroness aus dem Ballett Carmina Krležiana)
Uraufführung:
14. Juli 2000 am Kroatischen Nationaltheater in Split (Judita); 5. Dezember 1985 am Kroatischen Nationaltheater in Zagreb (Carmina Krležiana)
Lebensdaten des Komponisten:
* 11. Mai 1948 in Split (Kroatien)
Es geht es um die Belagerung einer Stadt durch brutale Eindringlinge aus der Fremde: Und genau in diesem Punkt weist die biblische Geschichte über die junge israelitische Witwe Judit, die ihre Heimat Betulia von den assyrischen Besatzern befreit, indem sie deren Anführer Holofernes ermordet, durchaus Bezüge zur Geschichte Kroatiens auf. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts musste das Land immer wieder gegen das Osmanische Reich kämpfen, und insbesondere die Stadt Split in Dalmatien war den Angriffen der Türken ausgesetzt, die bis unmittelbar vor ihre Tore vordrangen. Auf diese Begebenheiten spielt der Dichter und Humanist Marko Marulić (1450–1524) in allegorischer Form in seinem 1501 vollendeten Epos Judita an, einem der frühesten Werke in kroatischer Sprache, das Marulićs Ruf als Vater der kroatischen Literatur begründete.
Anlässlich des 550. Geburtstags von Marulić im Jahr 2000 und im Zusammenhang mit dem 1700-jährigen Jubiläum der Stadtgründung von Split lag es für den Komponisten Frano Parać nahe, das Epos Judita, das eine so große Bedeutung für das Land und die Stadt hat, als Grundlage für seine erste Oper zu nehmen, die am 14. Juli 2000 am Kroatischen Nationaltheater in Split uraufgeführt wurde. „Das Thema stellt den Beginn des dalmatischen und kroatischen Denkens und Fühlens dar“, so Parać kurz nach der Premiere (alle Zitate des Komponisten aus einem von Ivana Bušić für den Katalog der Musikbiennale Zagreb 2001 geführten Interview).
Wie Marulić stammt Parać ebenfalls aus Split; er studierte Musiktheorie und Komposition in Zagreb und erweiterte dann seine Kenntnisse bezüglich elektronischer Verfahren am Studio di fonologia musicale della RAI in Mailand. Nach Experimenten mit verschiedenen Ausdrucksformen der Neuen Musik fand er schließlich zu seinem eigenen Stil, den man als gemäßigt modern bezeichnen könnte. In seinen Werken lassen sich klassische Formen erkennen – in der Oper Judita zum Beispiel so etwas wie Arien und Rezitative –, seine Klangsprache ist jedoch einer zeitgemäßen Ausdrucksweise verpflichtet, die allerdings die Musiktradition niemals aus dem Blick verliert: die rhythmische Stabilität des Barock, die formale Klarheit der Klassik, die emotionale Freiheit der Romantik.
Im Bezug auf seine Oper Judita sagt Parać über seine Musik: „Sie trägt ein zeitgenössisches Gewand, gründet sich aber absolut auf die Tonalität, ob das nun Dur, Moll, ein Modus oder irgendeine spezielle Tonleiter ist.“ Sein umfangreicher Werkekanon umfasst Orchester- und Kammermusik und vor allem Vokales, insbesondere für Chor. Darin schwingen bisweilen Anklänge an die kroatische Kirchenmusik mit, und immer sind seine Kompositionen durchzogen von der typisch mediterranen Mischung aus ehrlicher Emotionalität und maßvoller Ausgeglichenheit.
Aus dem dramatischen Ballett Carmina Krležiana (1985) nach Texten des expressionistisch-modernistischen Schriftstellers Miroslav Krleža stammt der 1990 als Solosatz für Klavier veröffentlichte Ples Barunice (Tanz der Baroness). Parać hat einmal die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, dass die Musik auch außerhalb einer oftmals kompliziert zu realisierenden Theateraufführung am Leben und im Repertoire erhalten bleiben müsse, und hat in diesem Sinne mit dem kurzen Ples Barunice einen Satz aus seinem Ballett extrahiert. Durch sich überlagernde rhythmische Strukturen schraubt er sich frenetisch in die Höhe. Mit seinem stürmischen, ja fast rasenden Gestus ist dieser Tanz, bei dessen Uraufführung Paraćs Tochter Leda am Klavier saß, zu einem dankbaren und effektvollen Stück für Pianisten geworden, das auch in der Orchesterfassung seine Wirkung nicht verfehlt.
Mit dem kroatischen Nationaldichter Marko Marulić hatte sich Parać bereits einige Jahre zuvor schon einmal in seiner Missa Maruliana (1993) auseinandergesetzt. Die meisten von Marulićs Texten sind zwar auf Latein verfasst, er hat aber auch bedeutende Werke in kroatischer Sprache geschrieben. Als christlicher Humanist und umfassend gebildeter Schriftsteller prägte er die kroatische Kultur des 15. und 16. Jahrhunderts und hob die Literatur des Landes auf ein europäisches Niveau. Zu Zeiten von Fremdherrschaft (Teile des heutigen Kroatiens gehörten damals der Republik Venedig an) und Bedrohung durch das Osmanische Reich wurde dadurch auch ein gewisses Nationalbewusstsein genährt.
Zu der Zeit, als Parać auf der Suche nach einem geeigneten Thema für seine erste Oper war, erlebte er auf der Insel Hvar am Vorabend des Karfreitags eine Prozession mit den für diesen Anlass typischen glagolitischen Gesängen, die ihn tief beeindruckten und, wie er sagt, „transformiert durch den Komponisten ihren Platz in der Oper gefunden haben, nämlich im dritten Bild“. Die Melodik, aber auch die Sprache, das alte Kirchenslawisch, bringen eine gewisse Archaik zum Ausdruck, die genauso in der Sprache von Marulićs Epos zu spüren ist. Dies faszinierte den Komponisten. Parać, der das Libretto zu seiner Oper in Zusammenarbeit mit Tonko Maroević selbst verfasst hat, entschied sich bewusst dafür, kein modernes Kroatisch zu verwenden, sondern das alte Kroatisch der Vorlage beizubehalten, um so nah wie möglich am Original zu bleiben, dessen epische Form er jedoch dramatisiert und an die Gegebenheiten eines Opernlibrettos angepasst hat. „Ich entdeckte im Text einige sehr inspirierende musikalische Aspekte, die ich schließlich hervorgehoben habe.“ Zur eigentlichen Hauptfigur macht er den Chor des Volkes in der belagerten Stadt Betulia, dem der ganze Beginn der Oper gehört. Bis die Titelfigur tatsächlich auftritt, dauert es eine ganze Weile. „Die Rolle des Chores ist in erster Linie die des Vermittlers von Emotionen.“
In der Oper treffen zwei Sphären aufeinander, die Parać musikalisch unterschiedlich charakterisiert und deutlich voneinander abhebt: das zutiefst menschlich und emotional gezeichnete jüdische Volk in der Stadt Betulia und die fast wie eine fratzenhafte Karikatur wirkenden assyrischen Belagerer um den Feldherrn Oloferne (Holofernes). Dabei spielt der I. Akt unter der leidenden Bevölkerung, der II. größtenteils im Lager der assyrischen Soldaten. Zwischen beiden Sphären steht die Titelfigur mit ihren großen Soloszenen als dramatisches Zentrum wie ein Monolith, der aus dem Volk herauswächst, um am Ende wieder mit dem Volk zu verschmelzen. „Diese Schwarz-Weiß-Zeichnung und diese archetypische Dramaturgie von Judita hat etwas von einem alten Mysterienspiel“, so Parać.
Die Oper beginnt mit einem wie ein Klagegesang wirkenden, choralartigen Gebet der Menschen in Betulia. Dieses lässt zwar an die kroatische Kirchenmusik und die liturgischen Gesänge Dalmatiens denken, jedoch hebt Parać hervor: „Nirgends in der Partitur finden sich direkte Zitate der dalmatischen Musik.“ Die spirituelle Stimmung wird jäh unterbrochen durch den Bericht des erschöpften und gefesselten Soldaten Achior über die Grausamkeiten des Holofernes, wobei die Musik einen kämpferischen Gestus bekommt.
Das im Stadtrat spielende 2. Bild ist durch einen monotonen Rhythmus und sich ständig wiederholende melodische Phrasen charakterisiert, die eine gewisse Stagnation und Passivität zum Ausdruck bringen. Die Herrscher der Stadt sind unfähig zu handeln und Widerstand gegen die Besatzer zu leisten. Wie eine Litanei sagt man sich gegenseitig immer wieder dasselbe: dass man auf Gottes Hilfe vertraue und lediglich warten werde. Hier nähert sich Parać Kompositionstechniken der Minimal Music an, aus der er „die Wiederholung, das Ostinato“ übernimmt. „Wenn man das Ostinato als Prinzip zur Schaffung psychologischer Situationen verwendet, dann sind das musikalische Ausgangsmaterial kurze Motive, die die Struktur auf einer sehr klaren harmonischen Basis aufbauen, und nicht die großen autonomen Melodien. Es gibt durchaus Momente in der Oper, in denen sich rhapsodischer Gesang ausbreitet, aber die Grundlage ist die transformierte Wiederholung.“
Die Erstarrung, die in den repetitiven, sich nicht weiterentwickelnden Strukturen der Musik zu spüren ist, setzt sich zu Beginn des 3. Bildes noch fort. Erst wenn sich Judit als einzige, die handeln will, aus der passiven Menge erhebt, gibt es einen Bruch. Nun werden energischere Töne angeschlagen, in denen man Judits Entschlossenheit, ihre Mitmenschen zu befreien, erkennen kann. Am Ende des Bildes verschmelzen Choral und Solostimme zu einem beschwörenden Gesang, der als eine Mischung aus Gebet und ritueller Vorbereitung von Judits rettender Tat erscheint.
Das 4. Bild beginnt mit einem Dialog der Dienerin Judits und einer Freundin, der ganz im Stil einer klassischen Dienstbotenszene aus der Operntradition ein zwar nicht direkt komischer, aber doch hellerer Kontrast zur düsteren Handlung ist. Darauf folgt fast als eine Art Arie Judits Monolog, der in einem dramatischen Aufschwung auf das Wort „Oloferne“ gipfelt und damit den I. Akt beschließt.
Die Betulianer mit ihren getragenen, gebetsartigen Gesängen erscheinen im I. Akt als leidendes Volk, dem Parać im Hinblick auf die historischen Hintergründe der literarischen Vorlage von Marulić – nämlich die drohende (Fremd-)Herrschaft der Osmanen in Kroatien und deren Angriffe auf die Stadt Split – eine dezente nationale Note verleiht. Ganz anders die Assyrer im II. Akt: Durch abgehackte, staccatohafte Phrasen und zum Teil eher lauthaften Gesang mit akzentuiertem, perkussivem Rhythmus wirken sie fast entmenschlicht. Auf ähnliche Weise ist auch Holofernes charakterisiert, wohingegen Judit im Aufruhr des 5. Bildes unerschrocken den Ruhepol bildet.
Das Fest im Lager der Assyrer zu Beginn des 6. Bildes ist ein wildes Orchesterbacchanal mit frenetischen Tänzen. Nach dem Duett, in dem Judit Holofernes verführt, folgt ein weiterer Monolog der Titelfigur, wenn sie sich entschließt, den mittlerweile willenlos gewordenen Feind zu ermorden.
Das 7. und letzte Bild spielt wieder in der Sphäre des betulianischen Volks mit ihrer musikalischen Mischung aus nervösem Getümmel und feierlich-zeremoniellem Choral. Das Werk endet mit einem großen Hymnus auf Judit als Befreierin und einem Lobpreis Gottes.
„Die ganze Oper ist im Einklang mit meinem kulturellen und musikalischen Erbe und hat natürlich mediterrane Merkmale wie Emotionalität oder ausgeprägte Vokalität, insbesondere im Chorgesang.“ Auf diese Weise greift Parać die Bezüge der biblischen Geschichte zur kroatischen Kultur und die Bedeutung des Dichters Marko Marulić für die Literatur des Landes auf. Mit Judita hat er ein Werk geschaffen, dass sich seit seiner Uraufführung im Jahr 2000 einen festen Platz in der Musik Kroatiens zwischen Tradition und Moderne erobert hat.
Florian Heurich