Träumen Sie eigentlich auch alle Jahre wieder von weißer Weihnacht? Und das, obwohl sich bei uns in Oberbayern leider mit sechzig- bis siebzigprozentiger Wahrscheinlichkeit das Phänomen des Weihnachtstauwetters zeigt? Die Sehnsucht nach tanzenden Flocken an Heiligabend gehört jedenfalls zur Tradition. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte die Romantik ein intensives Verhältnis zum Winter und bescherte uns, so folgern Kulturwissenschaftler, einen Trend zur Vernördlichung der Weihnachtsvorstellungen. Immer beliebter wurden damals die in England erfundenen Grußkarten zum Fest, auf denen bald eine dicke Schneedecke die Darstellungen von Weihnachtsmännern oder Kindern rahmte. Sie entstanden gerade da, wo man keinen Schnee hatte. Oder kamen per Post aus Übersee von deutsch- und englischstämmigen Auswanderern mit Motiven aus den tief verschneiten Regionen Nordamerikas.
„I’m dreaming of a white Christmas. Just like the ones I used to know.“ Unter Palmen und der Sonne Kaliforniens verewigte Irving Berlin die Sehnsucht nach der weißen Pracht zur Weihnachtszeit in seinem vielleicht größten Hit: White Christmas. Im Januar 1940 nämlich sitzt der damals in Hollywood beschäftigte Komponist in einem Hotel im Süden der USA, während seine Familie sich weit weg in New York befindet. Bing Crosby singt White Christmas dann zuerst im Film Holiday Inn, 1943 gibt es dafür einen Oscar. Die 1947 erneut von Crosby eingesungene Version gilt heute mit an die 50 Millionen verkauften Exemplaren als die erfolgreichste Single weltweit. Der Wunsch „May all your Christmases be white“, mit dem der Song endet, transportiert im Übrigen eine klare Idee: Das Weiß des Schnees steht nicht allein für nostalgische Landschaftsidylle, sondern auch als Symbol für Reinheit und Frieden.
Wie gut eine in Schnee verpackte Lovestory samt Schneemannbauen und Nüsserösten am Kamin funktioniert, hatte zuvor schon der Weihnachtshit Winter Wonderland gezeigt. Seine Entstehungsgeschichte birgt eine bittere Note: Der Text stammt von Richard B. Smith, einem Zeitungsreporter und Komponisten aus Pennsylvania. Als er im Winter 1934 die Zeilen rund um den nächtlichen Spaziergang eines Liebespaars notiert, liegt er mit schwerer Tuberkulose in einem Sanatoriumsbett. Wie erfolgreich die Vertonung aus der Feder des mit ihm befreundeten Pianisten Felix Bernard wird, erlebt er nicht mehr. Er stirbt wenige Monate nach der ersten Veröffentlichung. Bis heute wurde Winter Wonderland unzählige Male eingesungen – von Stars wie Doris Day und Tony Bennet bis hin zu Helene Fischer.
Die diesjährige Ausgabe der „Christmas Classics“ mit dem Münchner Rundfunkorchester feiert die musikalische Sehnsucht nach der weißen Weihnacht. Auf dem Programm stehen dabei auch Stücke, die zu einer Fahrt durch den Schnee einladen. Besonders fröhlich: die Schlittenglocken in Sergej Prokofjews Troïka, die die Stimmung einer schnellen Reise im gleichnamigen russischen Dreispänner transportieren. Ursprünglich Prokofjews erste Komposition für einen Film: die Sowjet-Produktion Lieutenant Kijé von 1934, eine skurrile Persiflage auf die Obrigkeitshörigkeit unter Zar Paul I. Prokofjew machte daraus später eine Suite mit ikonischen Klängen, schnellen Pizzicato-Elementen und der Melodie eines alten russischen Volkslieds. Eher verzaubert und magisch klingt es, wenn Der Polarexpress zum Nordpol gleitet – mit einem kleinen Jungen an Bord, der nicht an Weihnachten glauben will. Alan Silvestri setzte in seinem Score für eine der ersten computeranimierten Produktionen auf viel Streichersound, Chöre – und natürlich Schlittenglocken.
Bettina Jech