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StartseiteHome Interview Ivan Repusic 2017

„Bereit für musikalische Abenteuer“

Interview mit Ivan Repušić, Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters ab September 2017

(aus der Saisonbroschüre 2017/2018)

Interview mit dem neuen Chefdirigenten des Rundfunkorchesters Ivan Repušić im Gartensaal des Prinzregententheaters (C) Lisa Hinder

Herr Repušić, herzlich willkommen in Ihrem Amt als Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters! Wie gut kennen Sie „Ihr“ neues Orchester denn schon?

Ich habe als Gastdirigent bereits ein paar Mal mit dem Orchester musiziert: so bei einer konzertanten Aufführung von Puccinis La rondine, bei der Silvestergala 2015 und zuletzt bei einem Konzert der Reihe Paradisi gloria. Außerdem habe ich das Orchester bei den Salzburger Festspielen anlässlich einer konzertanten Aufführung von Puccinis Manon Lescaut mit Anna Netrebko als Zuhörer erlebt. Aber mein erster Kontakt rührt aus der Zeit, als ich noch Student in Zagreb war. Ich hatte zwei CDs mit dem Münchner Rundfunkorchester, Puccinis Gianni Schicchi unter der Leitung von Giuseppe Patané und Ponchiellis La gioconda unter Marcello Viotti: wunderbare Aufnahmen, die mich sehr beeindruckt haben. Auch heute hört man sofort, dass das Orchester einen speziellen Klang hat. Ich habe selbst sehr viel italienische Oper dirigiert und gleich gemerkt, dass das Orchester es sehr genießt, diese Musik zu spielen; durch Chefdirigenten wie Lamberto Gardelli, Giuseppe Patané, Roberto Abbado und Marcello Viotti hat es da eine gewisse Tradition mitbekommen. Und nicht umsonst wird München als nördlichste Stadt Italiens bezeichnet; auch das Publikum liebt die italienische Oper! Insgesamt hat das Rundfunkorchester auf jeden Fall ein ganz eigenes Profil – in München und auch überregional.

Sie stammen aus Kroatien, sind in Zadar, einer malerischen Stadt an der adriatischen Küste, aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?

Zadar ist ein wichtiges Zentrum in Kroatien und geprägt von seiner Architektur und Kultur. Ich liebe meine Heimat sehr und habe dort eine wunderschöne Kindheit verbracht. Meine Familie wohnte im Zentrum von Zadar, einer Stadt mit einer 3000-jährigen Geschichte, auf einer Halbinsel gelegen. Ich bin immer mit dem Klang der Kirchenglocken aufgewacht; es gibt mehrere alte Kirchen, zum Beispiel die des heiligen Donatus aus dem 9. Jahrhundert. Das Stadtzentrum war mein Wohnzimmer, ich war ständig draußen – umgeben von der Sonne, dem Meer – und auch der Musik.

Kommen Sie aus einer musikalischen Familie?

Nicht unbedingt. Aber mein Vater hat im Kirchenchor der Kathedrale gesungen und mich immer zu den Proben mitgenommen. Das war meine erste Berührung mit klassischer Musik, und der Dirigent hat mich sehr fasziniert. Ich habe genau beobachtet, was er sagt und was er mit den Händen macht. Außerdem besuchte ich die Musikschule, und schon als Dreizehnjähriger habe ich die Leitung des Chores in einer anderen Kirche übernommen. Ich hatte mir selbst das Orgelspielen beigebracht, und das Dirigieren hatte ich mir abgeschaut; alles Weitere habe ich dann nach Gefühl gemacht. Die Frauen im Chor waren zuerst skeptisch, ob ein Kind die Leitung übernehmen kann. Aber ich war, wie ich immer bin: offen und spontan. Und nach der ersten Probe haben sie mich akzeptiert. Anfangs war der Chor sehr klein, doch nach drei Jahren hatten wir 40 Mitglieder: Ich habe Bekannte, die ich auf der Straße traf, gefragt, ob sie mitsingen wollen, und habe schon damals gerne mit anderen Menschen gearbeitet.

Was an Ihnen ist typisch kroatisch?

Meine Spontaneität. Und ich liebe die mediterrane Küche und guten Wein – kroatischen Rotwein! Außerdem sind mir familiäre und freundschaftliche Bindungen sehr wichtig. Jetzt, da ich mit meiner Familie in Berlin lebe, vermisse ich natürlich die Sonne und das Meer der kroatischen Küste.

Ihre Jugend war geprägt durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien bzw. speziell in Kroatien Anfang bis Mitte der 1990er Jahre. Wie haben Sie das erlebt?

Das war eine sehr schwere Zeit; bei Kriegsbeginn war ich dreizehn Jahre alt. Wir haben in derselben Kirche, in der mein Vater im Chor gesungen hat, Zuflucht in den Katakomben gefunden. Manchmal gab es kein Wasser, keinen Strom, teilweise auch keinen offiziellen Schulbetrieb. Aber die Lehrer haben entschieden, uns auf eigene Verantwortung zu unterrichten. Wir hatten Angst vor den Granaten, doch der Wille, etwas zu lernen, war stark. Etwa fünf Jahre lang habe ich vielleicht nur 40 Prozent des eigentlichen Stoffs vermittelt bekommen. Und es war schwer, sich auf die Aufnahmeprüfung an der Musikakademie vorzubereiten. Aber ich habe zu kämpfen gelernt, und die Musik hat uns auch Hoffnung gegeben. Meine einziger Wunsch war es, in Frieden zu leben. Ich weiß das heute so sehr zu schätzen, weil ich den Krieg selbst erlebt habe. Und gerade jetzt, in schwierigen Zeiten, müssen wir uns alle bewusst machen, wie wichtig das ist.

 

Konzert Paradisi gloria mit Ivan Repušić im März 2017 (C) Julia Müller
Ivan Repušić dirigiert ein Konzert der Reihe Paradisi gloria mit moderner geistlicher Musik.

Empfinden Sie die Musik als ein Mittel der Völkerverständigung?

Ja, die Musik ist eine universelle Sprache, die zu allen spricht. Und es ist die Aufgabe von uns Musikern, das weiterzutragen. Daher habe ich auch immer, wenn ich die Gelegenheit dazu hatte, Benefizkonzerte dirigiert: zum Beispiel für die Opfer des Krieges in meiner Heimat oder aktuell die AIDS-Gala 2016 an der Deutschen Oper Berlin. Wir können mit Musik Gutes tun, das ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe.

Inwieweit fügt sich auch die Konzertreihe Paradisi gloria des Münchner Rundfunkorchesters mit geistlicher Musik des 20. und 21. Jahrhunderts in einen übergeordneten Kontext ein?

Wir wollen mit dieser Reihe Brücken in andere Länder schlagen, nicht nur durch die Komponisten und deren Werke, sondern auch durch die Künstler, mit denen wir arbeiten. Meine Vorstellung ist, dass wir zukünftig einen Austausch pflegen, Gastspiele an den entsprechenden Orten geben, zum Beispiel in Zagreb ein Stück eines kroatischen Komponisten aufführen oder ein Chor von dort zu uns kommt und wir gemeinsam Musik aus dem deutschsprachigen Raum aufführen. Das Münchner Rundfunkorchester pflegt ja außerdem bereits die Zusammenarbeit mit der Stiftung Palazzetto Bru Zane in Frankreich. Aufgrund seines besonderen Profils hat das Münchner Rundfunkorchester viele Möglichkeiten, Verbindungen aufzubauen, und das sollten wir nutzen. In der Saison 2017/2018 dirigiere ich zwei Paradisi-gloria-Konzerte; das erste baut musikalische Brücken nach England und in die USA, das zweite nach Ungarn und Russland.

Welche Bedeutung hat für Sie geistliche Musik allgemein?

Sie klingt manchmal wie aus anderen Sphären. Bei den geistlichen Werken großer Komponisten spürt man sofort, dass etwas mitschwingt, was nicht von dieser Welt ist. Man muss nur mit der Musik mitgehen, um diese Gefühle nachzuempfinden. Manchmal haben die Komponisten sehr lange nach einem Weg zu Gott oder nach diesen religiösen Empfindungen gesucht, und deshalb sind diese Werke dann so stark in ihrer Wirkung, so tiefgründig und ehrlich. Jeder hat seinen eigenen Weg zu Gott, auch ich habe meine ganz eigene Verbindung. Und die Musik ermöglicht einem, diese zu finden oder sich überhaupt mit etwas zu identifizieren. Beethoven zum Beispiel hat in seinen Werken immer Botschaften an die Menschheit formuliert. Andere, introvertiertere Komponisten, haben gerade in der geistlichen Musik ihre tiefsten Gefühle gezeigt.

Wir sprachen bereits über das italienische Repertoire, das bei Ihnen einen großen Stellenwert hat. Woher kommt das?

Meine Heimat ist geprägt von der italienischen Kunst und Kultur, und in dieser Umgebung bin ich aufgewachsen: In Zadar wurde im 19. Jahrhundert das Teatro Verdi eröffnet, ein Haus mit 1500 Plätzen, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Obwohl es in meiner Jugend kein Opernhaus in Zadar mehr gab, haben die Leute auf der Straße Melodien von Verdi gepfiffen. Die Menschen in Dalmatien haben ein Gefühl für diese Musik. In Split, wo ich Chefdirigent am Nationaltheater war, gibt es eine große Operntradition; alle wichtigen kroatischen Dirigenten wie Nikša Bareza, Vjekoslav Šutej oder Lovro von Matačić haben dort beim Sommerfestival angefangen. Dass meine Laufbahn sich auf dieser Basis entwickelt hat, bedeutet aber nicht, dass ich ein Spezialist nur für italienische oder auch slawische Musik wäre. Ich arbeite nun schon seit sieben Jahren in Deutschland und habe das Glück, mich hier auch mit Wagner und Strauss befassen zu dürfen. Als ich an der Deutschen Oper Berlin den Tannhäuser dirigiert habe, konnte ich anschließend drei Tage lang nicht schlafen, weil das so emotional für mich war. Und an der Staatsoper in Hannover habe ich jetzt den Fliegenden Holländer einstudiert. Für mich gibt es eigentlich keine Grenzen – auch wenn man in einem Musikerleben natürlich nicht alles machen kann.

 

Interview mit Ivan Repušić im Gartensaal des Prinzregententheaters, Februar 2017 (c) Lisa Hinder
Interview mit Ivan Repušić im Gartensaal des Prinzregententheaters

2018 gehen Sie mit Diana Damrau und dem Münchner Rundfunkorchester auf Tournee. Es sind Auftritte u.a. in Baden-Baden, Wien und Luzern geplant …

Ja, wir müssen uns auch einem anderen Publikum außer dem hiesigen präsentieren, müssen andere Konzertsäle kennenlernen. Das hat nicht nur mit Marketing zu tun, sondern auch damit, dass wir auf diese Weise die Chance haben, mit einer so tollen Künstlerin wie Diana Damrau zu arbeiten. Uns ist es wichtig, dass die Gastsolisten nicht einfach anreisen und ihr Programm abliefern, sondern dass sie die Orchesterarbeit befruchten. Diana Damrau ist eine der zurzeit besten Sängerinnen, und es bedeutet viel, gemeinsam mit ihr in wichtigen Musikzentren präsent zu sein. Dazu kommt, dass eine Tournee die Orchestermitglieder noch enger zusammenschweißt als die tägliche Routine. Und ich habe bei meinen bisherigen Projekten mit dem Münchner Rundfunkorchester gemerkt, dass es wirklich wie eine Familie ist, die zusammenhält: ein Vorteil für jeden Dirigenten!

 

In der Saison 2017/2018 begrüßt das Münchner Rundfunkorchester mit der lettischen Sopranistin Marina Rebeka erstmals einen Artist in Residence. Hatten Sie bereits Kontakt mit ihr?

Wir haben an der Deutschen Oper Berlin bei drei Vorstellungen von La traviata zusammengearbeitet. Ich habe das Stück an diesem Haus bestimmt schon zwanzig, dreißig Mal dirigiert, und sie war eine der besten Darstellerinnen der Violetta – stimmlich und auch in der Tiefe des Ausdrucks. Das Münchner Rundfunkorchester hat ebenfalls schon mit ihr musiziert, als sie bei den Salzburg Festspielen in der konzertanten Aufführung von Massenets Thaïs für Sonya Yoncheva einsprang und an der Seite von Plácido Domingo die Titelrolle sang. Außerdem wird eine Solo-CD mit ihr herauskommen, und sie wird in drei Konzerten auftreten.

Sie sind auch pädagogisch tätig, wurden als Lehrbeauftragter an die Akademie der Schönen Künste der Universität in Split berufen. Beim Münchner Rundfunkorchester nehmen die musikalische Kinder- und Jugendarbeit sowie die Nachwuchsförderung einen großen Raum ein. Welche Bedeutung hat das in Ihren Augen?

Das Orchester pflegt viele wunderbare Projekte, und natürlich ist das auch eine Aufgabe für den Chefdirigenten. Kinder sind das ehrlichste Publikum; sie lügen nie, zeigen einfach, ob sie etwas mögen oder nicht. Es liegt an uns, ihr Interesse an klassischer Musik zu wecken, und dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: zum Beispiel mit spannenden Konzerten oder einer Kinderoper oder dadurch, dass die Kinder mit dem Orchester in Kontakt treten, mit den Musikerinnen und Musikern sprechen, Instrumente ausprobieren. Ich dirigiere in der Saison 2017/2018 das Projekt Klasse Klassik, bei dem Schülerinnen und Schüler mit Mitgliedern des Rundfunkorchesters und des BR-Chores musizieren. So kann man junge Leute neugierig auf die Musik machen und ihnen zeigen, dass ein Leben ohne Musik eigentlich „nicht geht“. Wir wollen ihnen das Beste aus der Musik bieten: eben die Klassik – das, was ewig bleibt. Ich höre manchmal auch Pop oder Rock, aber wir müssen den Kindern vermitteln, was es bedeutet, Werke von Genies wie Bach, Beethoven oder Mozart zu besitzen.

Wie bleibt das Münchner Rundfunkorchester „am Puls der Zeit“? Und wie wichtig sind für Sie dabei neue technische Möglichkeiten und moderne Kommunikationswege?

Wir befinden uns in einer schnelllebigen Zeit: Alle wollen immer mehr – und das immer schneller. Technologie spielt eine große Rolle, aber sie muss unser Partner sein. Wir müssen die neuen Möglichkeiten natürlich nutzen. Früher hat man sich gefreut, wenn man im Radio überhaupt eine Symphonie unter Furtwängler oder Toscanini hören konnte, wenn auch in schlechter Tonqualität. Heute hat man binnen Sekunden zwanzig verschiedene Aufnahmen über Youtube zur Verfügung oder kann live eine Aufführung irgendwo auf der Welt mitverfolgen. Das hat Vor- und Nachteile. Ich finde, man muss sehr wach beobachten, was interessant für uns ist. Wir haben beim Münchner Rundfunkorchester bereits mit neuartigen Aufnahmeverfahren im 360-Grad-Verfahren experimentiert, bei denen ich dirigiert habe. Das Thema Multimedia erlaubt uns vielleicht den Zugang zu einem jüngeren Publikum. Ich bin für solche Abenteuer immer bereit!

 

„Ich wünsche mir und dem Münchner Rundfunkorchester, dass wir immer neugierig bleiben!“

Das Münchner Rundfunkorchester hat sich regelmäßig auch der Wiederentdeckung von zu Unrecht vergessenen Werken gewidmet. Welche Akzente im Repertoire wollen Sie setzen?

Ich denke, es kommt auf eine fantasievolle Mischung an, und unsere Möglichkeiten sind da nahezu unerschöpflich. Natürlich ist es eine wichtige Aufgabe für ein Rundfunkorchester, unbekannte Werke aufzuführen, aber das Orchester muss auch Kernrepertoire spielen. In der Ära von Marcello Viotti gab es zum Beispiel in der Reihe Paradisi gloria Konzerte mit Werken von Mozart und zeitgenössischen Komponisten. Man muss also die richtige Balance und die richtigen Themen finden, was wir gemeinsam mit der Orchestermanagerin Veronika Weber tun. Das können Raritäten sein, aber das kann zum Beispiel auch eine Oper von Wagner oder Verdi in exzellenter Besetzung sein, so wie im September 2017 Luisa Miller mit Marina Rebeka. Die Auswahl muss nur wohlbegründet sein, und wenn man gute Musik macht – bekannt oder unbekannt –, sind alle glücklich. Ich wünsche mir und dem Münchner Rundfunkorchester, dass wir immer neugierig bleiben!

Zur Biografie von Ivan Repušić

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