Wie lange hat die Ausbildung auf der Bratsche gedauert?
Insgesamt ging es sehr schnell: Beschwingt von meiner Entscheidung für die Bratsche habe ich mich schon nach wenigen Monaten auf eine Stelle am Gärtnerplatztheater beworben. Die Vorbereitung darauf war eine sehr intensive Zeit. Als ich das Probespiel gewonnen hatte, zählte ich mit Hariolf Schlichtig die Anzahl der Unterrichtstermine bei ihm: Es waren genau 15 Violastunden. Seither witzeln wir, ich sollte vielleicht ein Buch mit dem Titel In 15 Stunden zur Stelle schreiben. Natürlich lässt sich der gesamte Prozess nicht so einfach reduzieren, aber der Gedanke daran erfreut uns beide immer wieder.
Wie ging es überhaupt los mit der Musik?
Den ersten Geigenunterricht bekam ich im Alter von fünf Jahren von meinem Vater, der Bratsche und Physik studiert hatte, ehe er sich für die Laufbahn als Physiker in der Industrie entschied. Die Musik war bei uns zuhause von jeher präsent. Meine Mutter spielt Flöte, und meine beiden Brüder sind wie ich Berufsmusiker; der älteste spielte zunächst Geige und wechselte dann zum Horn, der mittlere ist Cellist am Gärtnerplatztheater. Mein Vater hatte die Instrumente also geschickt verteilt. So war schnell ein Streichquartett vorhanden, was die Königsdisziplin eines jeden Streichers ist. Als Jüngster musste ich immer schauen, wie ich mitkomme. Aber so bin ich ganz natürlich in die Sache reingewachsen, habe dann viel Förderung im Musik-Leistungskurs, im Schulorchester wie auch solistisch erfahren. Manchmal staune ich, welche Hürde die Aufnahmeprüfung an der Hochschule heutzutage für junge Leute darstellt, denn ich habe es ohne Druck ausprobieren können und es hat gleich geklappt. Nach dem Zivildienst konnte ich den Studienplatz direkt in Anspruch nehmen und war zunächst bei Yuko Inagaki-Nothas. Das geigerische Hauptrüstzeug habe ich dann bei Kurt Guntner erlernt, der ja ein Münchner Urgestein war: Konzertmeister an der Bayerischen Staatsoper, bei den Münchner Philharmonikern und auch bei den Bayreuther Festspielen. Er hatte einen unglaublichen Überblick über die Musik, über stilistische Aspekte und orchestrale Alltagsthemen, wovon ich bis heute profitiere.
Sie wurden einige Jahre lang von Live Music Now gefördert …
Das war eine wertvolle Zeit. Die Idee von Yehudi Menuhin, dem Gründer von Live Music Now, war ja, mit Musik zu trösten, zu heilen und Freude zu bereiten, sie zu Menschen zu bringen, die aus den verschiedensten Gründen nicht ins Konzert gehen können – zum Beispiel, weil sie im Krankenhaus, im Altenheim oder im Gefängnis sind. Gleichzeitig wollte er jungen Musikern ein Forum geben, um Konzerterfahrung zu sammeln. Ich habe auf diese Weise ganz tolle Momente erlebt. Wenn man zum Beispiel im Altenheim Schlager aus den 20er, 30er Jahren interpretiert und danach eine 90-Jährige zu einem kommt und sagt, sie fühle sich wieder wie mit Zwanzig, dann weiß man, die Musik ist angekommen. Einmal haben wir in einem Gefängnis gespielt und in tränenüberströmte Gesichter gesehen, weil die Musik so tief geht, dass viele beim Zuhören einfach loslassen und für einen Moment vergessen konnten. Live Music Now ist eine wichtige Einrichtung, der ich immer noch sehr verbunden bin.
Sie haben Ihre erste Stelle am Gärtnerplatztheater bereits erwähnt. Hat Ihnen die Theaterluft gefallen?
Ja, das waren elf prägende Jahre. Und die Leidenschaft für die Oper lässt mich bis heute nicht los. Ich durfte dort eine immense Bandbreite kennenlernen, von Mozart über „Emotionsopern“ wie La bohème und La traviata bis hin zu Strauss’ Capriccio oder auch Werken von Strawinsky, Henze und Nono sowie Operette und Musical. Da lernt man sehr viel, weil Reaktionsvermögen und Spontaneität gefordert sind. Am Theater herrscht ein ganz eigenes Leben. Es gibt viele Sparten, die ineinandergreifen, und man lebt wie in einer großen Familie, sitzt oft nach den Vorstellungen noch in der Kantine zusammen, zwischen Balletttänzern und Arbeitern aus den Werkstätten.
Wie ergab sich 2009 der Wechsel ins Münchner Rundfunkorchester?
Der Rundfunk stellt ganz eigene Anforderungen, die Arbeitsweise hier ist sehr leistungs- und qualitätsorientiert. Unter der großen Leidenschaft, die am Theater spürbar ist, leidet vielleicht manchmal etwas die Genauigkeit. Ich wollte aber für mich noch mehr Perfektion erreichen. Außerdem haben mir die Arbeitsbedingungen beim Rundfunk, zum Beispiel die Probenzeiten und die Disposition der Konzerte, eine bessere persönliche Planung, auch für die Familie, ermöglicht.
Was ist Ihr liebstes Feld beim Münchner Rundfunkorchester?
Das Rundfunkorchester hat viele spannende Themen, und ich kann kaum etwas Einzelnes herausgreifen, weil für mich die Musik in ihrer gesamten Breite existiert. Aber die Kinder- und Jugendarbeit ist für mich sehr wichtig und berührt mich, zum Beispiel wenn wir Schulbesuche machen und die Kinder anschließend mit großen Augen im Konzert sitzen. Oder wenn wir bei dem Projekt Klasse Klassik gemeinsam mit Jugendlichen musizieren und ich hinterher eine Dankbarkeit spüre, die auch geäußert wird. Sehr wichtig sind beim Rundfunkorchester natürlich Oper und Operette. Und es entstehen viele CD-Produktionen, die zum Teil sehr fordernd sind, weil man alles bis zum Letzten herausholen will und die Takes oft mehrfach wiederholt werden, bis sie perfekt „im Kasten“ sind. Das trainiert ein Orchester ungemein.
Seit 2016 sind Sie auch Mitglied im Bayreuther Festspielorchester.
Ja, ich war einfach neugierig auf Bayreuth und wollte diesen „Hügel“ erklimmen. Das Festspielorchester ist mit Musikerinnen und Musikern aus ganz Deutschland und inzwischen auch aus dem Ausland besetzt. Kurz vor Weihnachten 2015 bekam ich den Anruf, dass ich eingeladen bin, und so konnte ich mir die Zusage quasi unter den Christbaum legen. Die Musik selbst, aber auch der historische Ort, an dem man sie aufführt – all dies in sich aufzusaugen, das ist wirklich einzigartig. Das Spielen im verdeckten Orchestergraben und der Eifer, mit dem alle bei der Sache sind, lassen eine Energie entstehen, die ich nirgendwo sonst erlebt habe. Es ist wie ein brodelnder Kessel oder ein Maschinenraum, in dem eine Mannschaft Emotionen produziert.
Was tun Sie, wenn Sie einen Ausgleich zur Musik suchen?
Neben dem Fotografieren kann ich aktuell vor allem beim Golfspielen richtig abschalten, wenn ich in die Weiten und ins Grüne „entfliehe“. Golf wird oft belächelt als etwas, das kein Sport sei. Aber wenn man 18 Loch weit läuft und mehrere Stunden unterwegs ist, weiß man anschließend, was man getan hat. Außerdem ist es sehr anspruchsvoll für den ganzen Körper, weil man vollkommen in Balance sein muss – durchaus vergleichbar mit dem Spielen eines Instruments. Es funktioniert nur, wenn man entspannt ist und die Energie fließen kann, wenn man mit Schwung arbeitet und nicht mit Kraft. Man muss lernen, sich zu konzentrieren, und verstehen, wie Geist und Psyche funktionieren. Das gibt mir viel Ruhe und Stärke.
Aus dem Programmheft zum 1. Mittwochs um halb acht 2019/2020 am 23. Oktober 2019