Zu Beginn des neuen Jahrtausends war die Konzertreihe Paradisi gloria noch ganz jung …
Ja, und da muss ich an unseren damaligen Chefdirigenten, den fantastischen Marcello Viotti denken, der die Reihe Paradisi gloria zum Heiligen Jahr 2000 gegründet hat. Anfangs wussten wir nicht, ob sie fortgesetzt würde, aber dann hat sie sich erfolgreich entwickelt und war sehr „entdeckerisch“ unterwegs. Das erste Konzert fand in der Kirche St. Gabriel nahe dem Prinzregententheater statt. Später sind wir in die Herz-Jesu-Kirche übergesiedelt, die aufgrund der Architektur und der Atmosphäre wunderbar zu der Reihe passt. Und das Publikum hat es zu schätzen gelernt, dass wir da Werke spielen, die man in der Kirchenmusik normalerweise nicht hört. Moderne geistliche Musik auf diesem Niveau – das ist eine Besonderheit.
Sie stammen aus Poznań (Posen). Wie kamen Sie zum Geigenspiel?
Mein Vater hatte vor dem Krieg ein Jahr lang Violine gelernt; meine Mutter hatte eine sehr schöne Stimme und am Konservatorium in Posen sogar die Aufnahmeprüfung bestanden. Sie wurden zwar keine Berufsmusiker – mein Vater war Professor für Altphilologie, meine Mutter Kinderärztin –, aber die Musik hat uns immer begleitet und wir haben zuhause oft gesungen. Deshalb haben mich meine Eltern auf die Musikgrundschule geschickt. Solche Musikschulen nach sowjetischem Muster gab es damals nicht nur in Polen, sondern zum Beispiel auch in der DDR. Man hatte den allgemeinen und den Musikunterricht im selben Gebäude. Die Grundschule ging bis zur achten Klasse, dann folgten vier Jahre Gymnasium nach demselben Prinzip. Nachmittags fanden der Einzelunterricht sowie Orchester und Chor statt, außerdem gab es Überäume. Aus heutiger Sicht war das sehr gut organisiert.
Ging es im Studium in Posen so zielstrebig weiter?
Ich hatte einen strengen Lehrer und war auch sehr streng zu mir selbst. Denn ich dachte: Jetzt hast du so viele Jahre für diese Sache geopfert, also muss am Ende auch ein super Diplom herauskommen. Im Juni 1989 hatte ich meine Abschlussprüfung. Eine sehr unruhige Zeit in Polen! Ein paar Tage später stieg ich in den Bus und fuhr zu meiner älteren Schwester nach Deutschland. Sie war schon 1980, bevor in Polen das Kriegsrecht verhängt wurde, nach Deutschland gekommen, studierte in Mainz Germanistik und Slawistik und blieb dann hier. Ich besuchte in diesem Sommer einen Meisterkurs bei Felix Andrievsky, Professor am Royal College of Music in London. Er wollte mich für ein Aufbaustudium in England gewinnen, doch ich hatte keinerlei „connections“ dort. Stattdessen half mir der Kontakt zu Yvon Baarspul, einem holländischen Dirigenten und Geigenbauer, dessen Geige ich bis heute spiele. Er vermittelte mir ein Stipendium der Hans-Krüger-Stiftung in Berlin und ich absolvierte ein zweijähriges Aufbaustudium bei dem wunderbaren Professor Roman Nodel an der Musikhochschule in Mannheim. 1991 habe ich dann überlegt, ob ich nach Polen zurückkehren soll. Denn 1989 war noch nicht klar gewesen, wie es in Polen weitergeht, auch wenn es 1988 schon die ersten Gespräche am Runden Tisch zwischen Opposition und Regierung gegeben hatte. Ich habe mich schließlich entschieden, es im deutschsprachigen Raum zu versuchen. Bei Probespielen am Nationaltheater in Mannheim und beim Mozarteumorchester in Salzburg erreichte ich jeweils die dritte Runde, bekam aber keine Stelle. Beim Münchner Rundfunkorchester hat es dann geklappt. 1992 habe ich geheiratet, und gemeinsam haben meine Frau und ich in den Jahren danach unter anderem auch die künstlerischen Interessen unserer beiden Kindern unterstützt. Mein Sohn sang zum Beispiel drei Jahre lang im Tölzer Knabenchor mit. Es fanden Hauskonzerte bei uns statt, bei denen auch die Kinder mitwirkten, und so konnten wir die familiäre Kunst- und Musiktradition weiterpflegen. Der regelmäßige Besuch von Veranstaltungen des Rundfunkorchesters war und ist natürlich fester Bestandteil unseres Familienlebens.
Wie empfanden Sie die Entwicklung des Orchesters?
Jeder Chefdirigent war auf seine Weise prägend. Robert Abbado hat – neben den Sonntagskonzerten und den Produktionen – durch seine eher symphonischen Programme bei den Promenadenkonzerten eine orchestrale Erziehung angestrebt. Davor bestanden diese Konzerte am Sonntagvormittag im Herkulessaal aus gehobener Unterhaltungsmusik. Er ging ergänzend in eine etwas andere Richtung. Dann kam die Ära von Marcello Viotti, einem hervorragenden Dirigenten und Musiker. Dadurch dass er auch ausgebildeter Sänger war, konnte er sehr gut mit den Solisten und dem Chor umgehen. Das Orchester ist in dieser Zeit richtig aufgeblüht und wir haben mit fantastischen Sängern wie Ramón Vargas zusammengearbeitet. Leider endete diese Phase sehr tragisch mit Viottis Tod; es war auch die Zeit, als das Orchester aufgelöst werden sollte und schließlich verkleinert wurde. Ulf Schirmer als Künstlerischer Leiter hat dann eine unglaubliche Aufbauarbeit geleistet. Er hat uns geholfen, ein neues Profil zu entwickeln. Seit der Spielzeit 2017/2018 ist Ivan Repušić unser Chefdirigent, und ich empfinde diese neue Ära als sehr lebendig. Wir hatten zum Beispiel ein tolles Konzert mit dem BR-Chor in Zagreb.
Wie erleben Sie die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie?
Unsere erste Probe nach dem Lockdown im Frühjahr hatten wir am 30. April 2020. Das war ein Test, um zu sehen, wie wir mit den Bedingungen zurechtkommen: verkleinerte Besetzung und größere Abstände zwischen den Musikerinnen und Musikern. Schon nach ein paar Minuten haben wir gemerkt, dass es möglich ist, so zu spielen. Natürlich hat man nicht so viel Kontakt zum Nachbarn. Für manche Kollegen ist die Sicht anders, und die Entfernungen spielen auch eine Rolle. Aber wir haben aus dem normalen Betrieb Erfahrung damit, wie man Intentionen überträgt. So konnten wir nach dem Probelauf ein sehr schönes Gemeinschaftskonzert aller drei Klangkörper des BR mitgestalten, das im Fernsehen übertragen wurde. Es folgten unter anderem Studioaufnahmen und ein „Geisterkonzert“ beim Mozartfest Würzburg, bevor zu Beginn dieser Saison [und vor dem Teil-Lockdown im November] wieder Konzerte vor Publikum stattfanden. Man kennt das Prinzregententheater und die Bühne dort. Aber der Blick in den Saal zum Publikum – alle mit Maske und großem Abstand – fühlte sich sehr traurig an. Ich dachte mir, wir müssen es so gut wie möglich machen, denn die Besucherinnen und Besucher freuen sich auf den Abend und haben das auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie wollen einfach gute Musik hören in einer Zeit, in der das Leben durch die Pandemie erschwert ist.
Sie sind Vorspieler der Ersten Violinen und Diensteinteiler. Was bedeutet das?
In den Streichern haben wir eine besondere Hierarchie. Der Erste Konzertmeister ist der Chef der Gruppe. Dann kommt der Stellvertretende Konzertmeister oder in unserem Fall die Stellvertretende Konzertmeisterin. Und es gibt den Vorspieler als Bindeglied zwischen den leitenden Positionen und dem Tutti. Meine Aufgabe ist es, die Ideen des Konzertmeisters körperlich oder auch verbal weiterzugeben und als Führender im Tutti besonders präsent zu sein, auch wenn diejenigen, die hinter mir sitzen, natürlich als „erste Adressen“ auf den Dirigenten und den Ersten Konzertmeister schauen. Im Krankheitsfall vertrete ich außerdem den Stellvertretenden Konzertmeister. Diensteinteiler bin ich seit 2011. Das heißt, ich disponiere meine Kolleginnen und Kollegen aus der Ersten Violine und bestelle die externen Aushilfen. Bei diesen muss ich gut überlegen, wer zum Programm passt. Für ein Opernprojekt wählt man möglichst Leute, die viel mit Oper zu tun haben. Und sie müssen sich gut ins Orchester einfügen: Jeder Klangkörper besitzt eine Eigendynamik. Und wir wissen genau, dass jeder von uns Verantwortung für das Ergebnis des Abends trägt.