Haben Ihre Eltern sehr darauf geachtet, dass Sie üben?
Nein, gar nicht. Sie waren nicht so streng. Komischerweise habe ich als Kind gerne geübt; erst als ich Teenager war, hat es etwas nachgelassen. Trotzdem habe ich mich für die Musik-Mittelschule entschieden. Wir haben in Korea ein etwas anderes Schulsystem als in Deutschland: sechs Jahre Grundschule, drei Jahre Mittelschule, drei Jahre Gymnasium. Für die Mittelschule bin ich alleine nach Seoul gezogen, weil meine Eltern aus beruflichen Gründen in Daejeon bleiben mussten, und ich habe privat bei einer sehr netten Familie gewohnt. Trotzdem war es anfangs schwierig für mich. Es gab keine richtige Kontrolle mehr, keiner sagte mir, wann ich Hausaufgaben machen sollte. Ich glaube, ich habe ein Jahr lang nur Bücher gelesen … Aber ich hatte zweimal pro Woche Violinunterricht, und die Geige war weiterhin ein wichtiger Teil meines Lebens. Nach der Mittelschule besuchte ich das Musikgymnasium; dann kam der Bachelor an der Korea University of Arts in Seoul.
Welches Ziel hatten Sie während des Studiums in Seoul?
Ich merkte, dass ich Spaß daran habe, im Orchester zu spielen, und wollte eigentlich nach dem Bachelor eine Stelle in Korea finden. Aber viele meiner Freunde sind damals nach Deutschland gegangen. Also habe ich mich informiert, was man zur Aufnahmeprüfung spielen muss, und noch in Korea einen einmonatigen Deutschkurs gemacht. Ich hatte mich in Hamburg, Köln und München sowie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und an der Universität der Künste in Berlin beworben. Die erste Prüfung war in Hamburg; ich habe bestanden und fand Hamburg auch sehr schön, weil es dort viel Natur gibt. Die zweite Prüfung war an der Hochschule für Musik Hanns Eisler, wo ich ebenfalls einen Studienplatz bekam. Ich habe mich dann für Berlin entschieden.
Was hat Sie am Leben in Deutschland am meisten erstaunt?
Anfangs war ich etwas schockiert darüber, dass vieles noch per Post läuft statt digital – und dadurch viel langsamer als in Korea. Wenn man auf eine Zulassung oder irgendein Ergebnis wartet, ist das mühsam. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen.
Was haben Sie aus dem Studium bei Kolja Blacher mitgenommen?
Wir haben sehr viel an der Technik gearbeitet. Vorher fehlte mir manchmal die Präzision; Kolja Blacher hat mir gezeigt, dass man nicht „irgendwie“ nach Gefühl spielen darf, sondern eine Phrase planvoll aufbaut und gestaltet. Wenn ich heute beim Üben mit einer schwierigen Stelle kämpfe, erinnere ich mich daran, was er gesagt hat und wie ich bestimmte Probleme lösen kann. Die wichtigsten Werke, die ich mit ihm erarbeitet habe, waren die zwei Violinkonzerte von Prokofjew. Beide sind sehr anspruchsvoll. Generell habe ich mich früher manchmal zu sehr unter Druck gesetzt, weil ich keinen Fehler machen wollte.
Wie haben Sie das überwunden?
Irgendwann dachte ich mir, auf der Bühne ist nicht der Zeitpunkt, um zu üben. Jetzt muss ich das Stück einfach von vorne bis zum Ende durchspielen. Und ich weiß, dass ich vorher hart gearbeitet habe.
Warum sind viele Südkoreaner so fasziniert von der westlichen klassischen Musik?
Die Koreaner sind generell sehr musikalisch; sie können in der Regel sehr gut singen und hören auch gerne Musik. Vielleicht ist die Klassik nicht mehr so in Mode wie früher. Aber Musik gehört einfach zu unserem Nationalcharakter. Zurzeit ist K-Pop [koreanische Popmusik] wahnsinnig beliebt. Ich habe als Jugendliche auch alles Mögliche gehört, internationale Popmusik, K-Pop und Klassik.
Von 2009 bis 2012 hatten Sie mit Ihrem Ensemble, dem Pagard-Quartett, Kammermusikunterricht beim Artemis-Quartett.
Ja, wir durften Unterricht beim damaligen Bratschisten Friedemann Weigle nehmen, der leider vor ein paar Jahren gestorben ist. Wir hatten mindestens einmal pro Woche zwei Stunden Unterricht bei ihm. Und als wir uns auf einen Wettbewerb der Universität der Künste vorbereiteten, haben wir noch intensiver geprobt. Er hat uns sehr aufmerksam begleitet und war sogar manchmal den ganzen Tag bei unseren Proben dabei. Wir haben dann mit Schostakowitschs Achtem Streichquartett und dem Quartett op. 13 von Mendelssohn den Zweiten Preis gewonnen.
Sie gehörten in der Saison 2011/2012 der Akademie des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin sowie bis 2014 der Akademie der Berliner Staatsoper an. Es folgte ein Zeitvertrag bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Wie fühlten Sie sich in diesem traditionsreichen Orchester?
Ich habe dort gelernt, was Orchesterspiel wirklich bedeutet. Die Sächsische Staatskapelle hat einen ganz eigenen Klang: sehr weich, aber nicht einfach leise. Ich musste lernen, mich dem anzupassen. Christian Thielemann war damals schon Chefdirigent, und ich empfand es als große Ehre, mit ihm arbeiten zu dürfen. Besonders schön war ein Gastspiel im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins mit der Zweiten Symphonie von Brahms. Am Ende hätte ich fast geweint. Alle waren komplett in der Musik drin. Auch mit der Berliner Staatskapelle unter Daniel Barenboim hatte ich im Musikverein ganz tolle Erlebnisse. Strawinskys Le sacre du printemps ist mir aus dem damaligen Programm besonders stark in Erinnerung geblieben. Die Bühne dort besteht übrigens aus vielen Stufen, sodass manche Stühle zum Ausgleich unterschiedlich lange Beine haben. Das war am Anfang etwas seltsam. Und die Zuschauer vorne neben der Bühne sitzen extrem nah am Orchester dran, sodass man beim Spielen das Gefühl hat, sie würden einem direkt in die Noten schauen.
Wie verlief Ihr Einstieg 2018 beim Münchner Rundfunkorchester?
Zunächst hatte ich eine Tutti-Stelle in den Zweiten Geigen in Teilzeit, und seit September 2019 bin ich Stellvertretende Stimmführerin der Zweiten Geigen in Vollzeit. Dadurch habe ich zwei Probejahre hintereinander absolviert. Aber ich habe das nicht als Stress empfunden, sondern mich von Anfang an wohlgefühlt. Als Stellvertretende Stimmführerin habe ich die Aufgabe, den Stimmführer zu unterstützen und nach allen Seiten gut zu kommunizieren, wenn es zum Beispiel um die Weitergabe von Bogenstrichen oder Korrekturen in den Noten geht oder Fragen aus der Stimmgruppe kommen.
An welche Konzerte mit dem Münchner Rundfunkorchester erinnern Sie sich besonders gern?
Bei mir hängt es nicht nur von mir selbst ab, ob mir ein Konzert stark im Gedächtnis bleibt, sondern auch vom Orchester und vom Publikum. Das war für mich zum einen bei einem Gastspiel zusammen mit dem BR-Chor unter dem Motto „Fuoco di gioia“ 2019 in Ljubljana der Fall. Alle waren hochkonzentriert, und man spürte, dass etwas Besonderes in der Luft liegt. Zum anderen erinnere ich mich sehr gut an das 1. Sonntagskonzert der aktuellen Saison mit Ausschnitten aus Opern von Puccini, bei dem ich als Zuhörerin im Prinzregententheater saß. Obwohl wegen der Abstandsregeln nur wenig Publikum im Saal war und das Orchester in verkleinerter Besetzung spielte, habe ich während des Konzerts überhaupt nicht an die Corona-Pandemie gedacht, und das hat mir gut getan. Ich war sicher „tausend Mal“ im Konzert, als Mitwirkende oder als Zuhörerin. Aber an diesem Abend war es ein besonderes Gefühl, die Musik live zu hören. Video-Livestreams und Hörfunkübertragungen, wie wir sie zurzeit machen, sind natürlich ganz wichtig, aber das Publikum fehlt mir sehr.
Eine interessante Erfahrung in Pandemie-Zeiten war, dass kleine Besetzungen ganz neue Hörerlebnisse ermöglichen …
Ja, ich habe zum Beispiel bei „Beethoven räumt auf“, einem Konzert unserer Reihe Klassik zum Staunen im vergangenen Oktober, mitgespielt. Auf dem Programm standen Ausschnitte aus Beethovens Symphonien in solistischer Streicher- und Bläserbesetzung. Danach kamen am U-Bahnhof einige Kinder auf mich zu und riefen: „Ah, die Geigerin!“ Und die Eltern erzählten, dass Kinder oft den Unterschied zwischen Geige, Bratsche und Violoncello noch nicht kennen. Daher war es schön, dass sie im Konzert genau sehen und hören konnten, welches Instrument gerade dran war. Ich liebe es, Kinderkonzerte zu spielen, und war damals selbst überrascht, wie toll die Symphonien trotz der solistischen Besetzung geklungen haben.
Aus dem Programmheft zum 3. Mittwochskonzert 2020/2021 am 10. Februar 2021